Aktuell Moldau 29. Mai 2009

"Wir stehen unter Beobachtung"

Interview mit Evgenij Goloshapov, Amnesty International Moldau
Evgenij Goloshapov, Geschäftsführer Amnesty International Moldau

Evgenij Goloshapov, Geschäftsführer Amnesty International Moldau

Die Republik Moldau hat in den vergangenen Jahren selten Furore gemacht. Auch die Menschenrechtslage der kleinen ehemaligen Sowjetrepublik östlich von Rumänien blieb weitgehend unbeachtet. Am 6. und 7. April gingen Tausende Moldauer in der Hauptstadt Chisinau auf die Straße, um gegen das offizielle Ergebnis der Parlamentswahlen zu protestieren. Die Kommunistische Partei hatten die Wahl mit 50 Prozent der Stimmen gewonnen, die Opposition sprach von einem unfairen Wahlkampf. Am 7. April kam es zu Ausschreitungen, Demonstranten bewarfen das Parlamentsgebäude mit Steinen und setzten Teile davon in Brand. Das Amnesty Journal sprach mit Evgenij Goloshapov, dem Geschäftsführer des Amnesty-Büros in Chisinau, über die Folgen der Proteste.

Frage: Bei den Protesten wurden viele Demonstranten von der Polizei festgenommen. Was ist mit ihnen passiert?

Goloshapov: Nach offiziellen Angaben wurden etwa 200 Personen verhaftet. Anhand des Materials, das verschiedene Menschenrechtsorganisationen gesammelt haben, können wir davon ausgehen, dass es etwa 450 Menschen waren, vermutlich mehr. Etwa 200 Personen haben mit uns gesprochen – alle haben berichtet, dass sie in Polizeigewahrsam geschlagen wurden. Manche mehr, manche weniger. Mit Stöcken, mit Fäusten, mit Plastikflaschen. Sie erhielten nichts zu essen oder mussten schmutziges Wasser trinken. Oder sie wurden nicht zur Toilette gelassen. Viele wurden beleidigt. Manche wurden an den Geschlechtsteilen verletzt. Viele der Festgenommenen hatten friedlich demonstriert und sich an den Ausschreitungen nicht beteiligt. Es wurden auch noch nach der Demonstration völlig willkürlich Personen festgenommen. Das betraf vor allem junge Leute.

Frage: Warum wurde die Journalistin Natalia Morar unter Hausarrest gestellt?

Goloshapov: Natalia Morar ist Journalistin, die für die Russische Zeitung "Moscow Times" schreibt. Sie wird beschuldigt, die Massenunruhen organisiert zu haben. Am Tag der Wahlen haben die Leute demonstriert, es war alles friedlich. Natalia Morar wurde einige Stunden von der Polizei festgehalten. Jetzt wurde ihr verboten nach Russland zu reisen. Falls sie verurteilt wird, wird sie von uns als politische Gefangene betrachtet.

Frage: Drei Menschen sind bei den Unruhen umgekommen.

Goloshapov: Einer der Toten ist Valerii Bobok, er war 23 Jahre alt. Nach der offiziellen Version ist er an einem unbekannten Gas erstickte. Aufgrund von Augenzeugenberichten kann man aber vermuten, dass er an den Folgen der Schläge durch die Polizei starb. Zwei weitere Todesfälle sind weniger klar. Beide Personen sollen Suizid begangen haben. Einer der beiden war am 7. April von Moskau nach Moldau zurück gekehrt, war also an den Unruhen nicht beteiligt. Auch er hat vor seinem Tod Verletzungen davongetragen. Der dritte Todesfall ist noch unklarer, wir wissen nicht, wann der Suizid begangen wurde.

Frage: Setzt die Regierung die Nichtregierungsorganisationen jetzt unter Druck?

Goloshapov: Vom 9. April bis etwa Ende April waren wir unter Beobachtung der Strafverfolgungsbehörden. Zwei Autos waren ständig vor unserem Büro geparkt, Besucher unseres Büros wurden observiert. Am 16. April erhielten wir einen Brief vom Innenministerium. Darin wurden die Nichtregierungsorganisationen (NGO) aufgefordert, Stellung zur Frage zu nehmen, was wir getan haben, um die Gewalt bei der Demonstration zu verhindern.
Zudem haben alle NGOs einen Brief vom Finanzamt bekommen. Wir sollten unsere Finanzquellen angeben und unsere Ausgaben. Bei der Steuerprüfung mussten wir Rechnungen vorlegen, aber auch eine Mitgliederliste mit allen Steuernummern unserer Mitglieder.

Frage: Wie schätzen Sie die aktuelle Menschenrechtslage in der Republik Moldau ein?

Goloshapov: Wir haben über Jahre hinweg versucht, einen Dialog mit der Regierung zu führen. Wir haben gute Kontakte zu Innenministerium, Parlament und Außenministerium aufgebaut. In den vergangenen Wochen haben wir verstanden, dass es sich dabei nicht um einen institutionalisierten Prozess handelte, sondern dass diese Kontakte auf dem Entgegenkommen von einzelnen Personen beruhten. Wir haben vieles in Gang gesetzt, wissen aber nicht, wie es jetzt weiter geht. Für die moldauische Gesellschaft wäre es sehr wichtig, wenn diejenigen, die Folter angewandt haben, vor Gericht gestellt werden würden. Aber dies ist nicht zu erwarten.

Interview: Claudia Wagner

Weitere Artikel